Arbeit, heute.
Arbeit, heute.

Arbeit, heute.

Eine Antwort auf den Artikel Effektives und effizientes Arbeiten

Arbeit als neues Hobby

Eines fällt mir immer wieder auf. Viele meiner privaten Termine werden abgesagt oder verschoben, weil jemand noch arbeiten muss oder doch länger in der Firma sitzt oder am Wochenende noch etwas abarbeiten möchte, damit die neue Woche nicht so voll beginnt. Ich merke das auch bei mir, manchmal. Dass ich denke: ach, am Sonntag hast du dafür Zeit. Und oh je, vormittags durch die Straßen bummeln zum Einkaufen? Darf ich das? Die anderen sitzen ja im Büro. Sollte ich wohl auch besser machen. (Um das vorweg zu nehmen: ich gehe trotzdem tagsüber, wenn es leer ist, einkaufen. Denn die Freiheit dazu tut mir gut. Und genau dieses Gefühl will ich mitnehmen, wenn ich wieder sichtbar arbeiten und denken muss.)

Was mich an dieser Einstellung immer mehr irritiert: Die Arbeit bestimmt unseren kompletten Alltag. Früher hieß es: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Gut, ich frage mich sowieso, warum das ein Widerspruch sein muss. Aber was passiert wohl, wenn nach der Arbeit vor der Arbeit ist? Wenn das Vernügen darin besteht, dass ich gerade noch ins Bett kriechen kann, um am nächsten Tag vor Sonnenaufgang wieder aufstehen zu müssen? Ich rede nicht von Managern oder der Bundeskanzlerin. DIE haben bestimmt ganz schön harte Tage. Obwohl Frau Merkel – so stelle ich mir das mal vor – bestimmt jeden Abend mit einem Lächeln einschläft und sich denkt: „Ok, Thema eins und zwei sind noch nicht durch, aber Heidewitzka, ich mache das, was mir am meisten Spaß und Zufriedenheit bereitet. Und ein bißchen toll finde ich es auch, dass ein paar sehr wichtige Menschen ein bißchen Angst vor mir haben. Ha!“ Und dann fällt sie in einen erholsamen Schlaf.

Aber, wie gesagt, es geht mir nicht um diese großen EntscheidungsträgerInnen, sondern um uns, um alle anderen. Wieso hat Arbeiten, Schuften, sich Verausgaben einen so hohen Stellenwert bei uns? Warum sind Rückenschmerzen und psychische Stressreaktionen unser neues Statussymbol?

Selbstverwirklichung als Maß aller Dinge

Bildungssysteme, Medienbilder, Politik, alle kreieren das Bild der „ehrlichen Arbeit“. Doch was genau heißt das? Wofür arbeiten wir? Leben wir um zu arbeiten oder arbeiten wir um zu leben? Machen wir das, was uns gefällt, zu unserem Beruf, sodass wir durch den damit erzeugten Spaß und die Energie dauerhaft erfüllt sind? Ich meine auch nicht einen Traumberuf, denn ich möchte lieber einen AusdemLeben-Beruf denn einen aus meinen Träumen (da kann ich nämlich unsichtbar werden, aber bisher ist mir das noch nie in der Realität geglückt).

Sie kennen vielleicht die Pyramide nach Maslows „Bedürfnishierarchie“? Von unten anfangend sind Gesellschaften darauf ausgelegt, dass jede Stufe erfüllt wird. Unsere Gesellschaft, die westliche, wohl genährte, steckt in der obersten Spitze. Die Selbstverwirklichung. Wir leben in relativ stabielen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen, das Individuum hat sich in den letzten 250 Jahren immer stärker entwickelt, Gleichberechtigung ist eine andauernde Bewegung, jetzt können wir uns ganz dem widmen, was wir eigentlich wollen. Der Haken: Jahrzehnte, vielleicht sogar schon jahrhundertelang wurde uns beigebracht, dass Selbstverwirklichung in der Arbeit zu finden sei und dass diese Arbeit hart sein muss.

Aber Selbstverwirklichung kann nicht durch bloßes Abarbeiten entstehen. Und eigentlich auch nicht in Yoga-Kursen wiederhergestellt werden, wenn im Rest des Alltags das Selbst ignoriert wird. Doch wie erreiche ich Selbstverwirklichung, wenn es gesellschaftlich nicht gerne gesehen wird, wenn man das macht, was man will und damit auch erfolgreich (was immer das für jede/n einzelnen heißen mag) sein möchte? Und woher weiß man eigentlich, was man machen möchte?

Zeit ist Geld. Gutes Arbeiten heißt Zeit haben

Die Wahrnehmung unseres Arbeitens führt uns also immer öfter existentiellen Fragen. Was heißt Arbeiten heute? Ist unsere Arbeit weniger anstrengend, weil wir nicht mit der Spitzhacke vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang hackend im Stollen stehen? Haben wir, generationell und erfolgswirtschaftlich betrachtet, dauerhaft und prinzipiell ein schlechtes Gewissen gegenüber denjenigen, die sich keinen Burnout leisten können?

Es stellen sich mehr Fragen als Antworten zu dem Thema. Doch eine Antwort habe ich für mich selbst definiert: Gutes Arbeiten heißt Zeit haben. Zeit für die Sache, Zeit für die intensive Auseinandersetzung, aber  vor allem Zeit für Dinge, die mir danach gut tun. Effektives Arbeiten geht, selbstempirisch betrachtet, einher mit effektivem Entspannen und Genießen, den ersten beiden Teilschritten der Selbstverwirklichung. Was das konkret heißt: Wann immer ich merke, dass es nicht weitergeht mit einem Gedanken, mit einer Situation oder wenn sich ein generelles Unwohlgefühl einstellt, dann die Selbstehrlichkeit zu besitzen und etwas für sich zu unternehmen. Und sei es das Wandern um den Block, sei es der Sprachkurs an der vhs.

Selbstverwirklichung in der Arbeit heißt für mich nicht, dass die Arbeit mein Leben bestimmt, sondern mein Leben die Arbeit als einen Teil des Ganzen integriert. Selbstverwirklichung heißt, den Mut zu haben, neue Wege zu gehen. Ob durch Verkürzung der Arbeitszeit oder Bündelung der Arbeitstage, ob durch innere und äußere Grenzen zwischen Arbeit und Sein, was immer es ist. Der Vorteil für unsere Spitzen-Gesellschaften ist doch der, dass wir die Möglichkeiten haben, Selbstverwirklichung in die Tat umzusetzen. Dass wir aber in vielen Fällen alles dafür geben, um unsere Fähigkeiten wegzupacken, also Wegleben oder Entkräften, ist eigentlich eine Tragödie und ein Schlag ins imaginäre Gesicht tieferer PyramidensitzerInnen.

Arbeit, heute.

Das heißt für mich: Arbeit, wie ich sie möchte. Unabhängig von Stundenkonventionen und unnötigen Zeitdrücken. Arbeit, heute heißt für mich auch:  Den Gegenstand der Arbeit und die damit verknüpften Menschen ernst nehmen, um mit jeder Arbeit ein Stück Verwirklichung zu erreichen.

So far.

amelie hauptstock

*hauptwort