freiluftlyrik, adaptiert
freiluftlyrik, adaptiert

freiluftlyrik, adaptiert

Der folgende Beitrag ist ein sehr besonderer Moment für mich. Angeregt durch mein Projekt der freiluftlyrik wurden die Studierenden von meiner freidenkenden Kollegin Ina Brauckhoff zu Weiterführenden der Idee. Raus aus dem Gebäude, rein in die Realität, Luft für die Gedanken und Texte. Lyrik soll interaktiv sein und sie braucht den (öffentlichen) Raum, um atmen und sich entfalten zu können.

Der zentrale Gedanke der freiluftlyrik ist: Lyrik ist genau an dem Ort, an dem sie entsteht. Sei es im Café, in der U-Bahn, beim Metzger oder im Kino. Jeder Text hat einen Ort, an dem er zum Vorschein kommt. Nicht ohne Grund haben berühmtere Namen Texte mit Orten verbunden. Und freiluftlyrik nimmt den Ort der Worte ernst.

Mit einiger Rührung und großer, großer Wertschätzung teile ich aus aktuellem Ergebnisanlass die Fotoreihe der Studierenden, nicht ohne Stolz, was aus einer kleinen Idee werden kann, wenn immer mehr Leute sie verfolgen. Mein Dank geht an Ina für ihre Umsetzung!

Ich gebe der Seminarleiterin selbst das Wort für ihre Erfahrungen und Gedanken:

„Freiluftlyrik“ 

Raus aus der Uni, rein ins Schreiberlebnis

Am 17. Dezember 2012 machte ich mich mit 15 Lehramtsstudierende des Hauptseminars „Kreatives Schreiben in der Schreibwerkstatt“, Fakultät für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache der Universität Duisburg-Essen, auf den Weg – raus aus dem Seminarraum, rein in die Essener Innenstadt.

Anregung war das Konzept „Freiluftlyrik“ von Amelie Hauptstock.

In kleinen Gruppen verteilten die Studierenden sich auf mögliche Schreiborte – die einen blieben draußen auf dem Weihnachtsmarkt, in der Fußgängerzone oder an ruhigeren Plätzen, die anderen zog es in den Weihnachtstrubel der Geschäfte oder in die warmen Cafés. Aus der Atmosphäre des jeweiligen Ortes zogen sie Ideen für Gedichte, Geschichten, Kurz- und Kürzesttexte. Ihre Gedanken brachten sie vor Ort zu Papier und ließen sie dort zurück. Nach einer Dreiviertelstunde traf sich die Gruppe wieder am Essener Hauptbahnhof. Erlebt hatten alle etwas. Die Begeisterung war spürbar, Fotos wurden gezeigt, Anekdoten erzählt, erste Überlegungen zu Konsequenzen für die spätere Unterrichtspraxis diskutiert – ein viel lebhafteres Gespräch, als es manchmal im Seminarraum zustande kommt. An einer Litfaßsäule wurde zusammen ein letzter Text geschrieben und aufgeklebt, Schreiben noch einmal kollaborativ erfahrbar.

In der darauffolgenden Seminarsitzung – zurück in der Uni – reflektierten die Studierenden den Schreibausflug. Spaß gemacht hatte es, sich von der direkten Umgebung zum Schreiben anregen zu lassen. Jeder fand schnell Anregungen, die aufs Papier gebracht werden wollten. Manchmal waren die Ideen schneller als der Stift. Aber auch andere Fragen beeinflussten das Schreiben: Wer wird meinen Text lesen? Wird er vielleicht weitergetragen? Oder wird er bald weggeworfen? Wie kurzlebig ist das, was ich hier mache? Und wo verläuft die Grenze zwischen Straßenkunst und Sachbeschädigung?

Der Schreibausflug „Freiluftlyrik“ ist eine der vielen praktischen Erfahrungen, die die Studierenden zu den Einsatzmöglichkeiten und -grenzen kreativer Schreibmethoden im Deutschunterricht sammeln und der verdeutlichte: Universität ist überall da, wo ausprobiert, gelernt und reflektiert wird.

Dass sie mit ihren künftigen Schülern zum Schreiben auch einmal den Klassenraum verlassen möchten, um vor allem wenig schreibbegeisterten Jugendlichen einen Zugang zu einem Medium des Selbstausdrucks zu ermöglichen, da sind sich die meisten sicher. Dass Schreiben im öffentlichen Raum aber immer auch ein Risiko ist, was Sozialkompetenz und Selbstverantwortung sowohl voraussetzt als auch fördert, ist ihnen ebenfalls bewusst.

Ina Brauckhoff

Ich ergänze: Den Freiraum für das eigene Wissen und den eigenen Ausdruck zu haben oder sich zu nehmen und das an andere weiter zu geben, das ist für mich ein wichtiger Bestandteil von ganzheitlicher Ausbildung, auf dem Weg zur Selbstverwirklichung. Mehr Mutige wie Ina Brauckhoff und ihre Studierenden braucht es!